Ich muß Dir schreiben

Ich muß Dir schreiben Lieber! Mein Herz hält das Schweigen gegen Dich nicht länger aus. Nur noch einmal laß meine Empfindung sprechen vor Dir, dann will ich, wenn Du es besser findest, gerne, gerne, still seyn. Wie ist es nun, seit Du fort bist, um und in mir alles so öde und leer, es ist als hätte mein Leben alle Bedeutung verlohren, nur im Schmerz fühl ich es noch. –
Wie lieb‘ ich nun diesen Schmerz; wenn er mich verlassen, und es wieder dumpf in mir wird, wie such ich ihn mit Sehnsucht wieder. Nur meine Thränen über unser Schicksal können mich noch freun. – Sie fließen auch reichlich, wenn ich Abends, schon um neun Uhr, den Tag zu verkürtzen mit den Kindern zur Ruhe mich lege; wenn alles still ist, und niemand mich sehen kann. Wie! dachte ich dann oft, soll künftig diese geliebte reine Liebe wie Rauch verfliegen und sich auflösen, niegends eine bleibende Spur zuück lassen? – Da kam der Wunsch in mich, noch durch geschriebene Worte, für Dich, ihr ein Monument zu errichten, das unauslöschlich die Zeit doch unverändert schonet. Wie mögte ich mit glühenden Farben bis auf ihre kleinsten Schattierungen sie mahlen und sie ergründen, die edle Liebe des Herzens, könnte ich nur Einsamkeit und Ruhe finden! So, beständig gestöhrt, zerrissen, kann ich nur stückweise sie fühlen, suche sie beständig, und doch ist sie ganz in mir!

Im offnen, freyen Feld ist es mir noch am besten, und ich sehne mich besttändig hienaus, wo ich den lieben Feldberg sehe, der Dich Böser wie eine Wand sanft aufhält, daß Du mir nicht weiter entfliehest! – Komm ich aber wieder nach Hause, ist es nicht mehr wie sonst, sonst wurde es mir so wohl, wieder in Deine Nähe zu kommen, jetzt ist’s als gienge ich in einen großen Kasten mich da einsperren zu lassen, kamen sonst meine Kinder von Dir zu mir herunter, wie stärkte es mein oft traurend Wesen, wenn eine sanfte Röthe, ein tieferer Ernst, eine Thräne im Aug mir noch den Einfluß von Dir verrieht, jetzt haben sie nicht mehr diese Bedeutung für mich und ich muß oft meine Gefühle für sie zurechte weisen.

So weit hatte ich schon in den I ten 8 Tagen Deiner Entfernung geschrieben, und mein Herz kämpfte mit meiner Vernunft, ob ich würklich diese Zeilen Dir schicken sollte, oder nicht. Mein Herz sagte, in dem Fall, daß alle andern Beziehungen mit Dir mir abgeschnitten würden, Gelegenheit zu suchen Dir wenigstens Rechenschaft davon zu geben. Denn den Gedanken, so nah wie wir noch zu leben und nach solcher Innigkeit gar nichts von einaner zu höhren und wissen zu wollen, konnte ich nicht fassen; es wäre mir unmöglich, diese Enthaltsamkeit mit Zartheit des Gemüths zu reimen, und ich glaube fast, Du mußtest das von mir erwarten, und hättest, wenn ich schwiege, Ursache mich des Gegentheils zu beschuldigen. Du konntest nicht zuerst schreiben, das fühlte ich wohl, weil ich immer dagegen war. Diese Gedanken bestimmten mich, (verdenke es mir nicht) daß ich Dir schrieb, und daß ich Dir klage. Wären diese Klagen nicht zugleich Beweise meiner Gefühle, gewiß, Dü würdest sie nicht höhren.

Jetzt bekam Henry Deinen Brief, welcher mich sehr aufrichtete. Ich hatte immer nur Deine neue Freyheit und Unabhängigkeit vor Augen, Dein häuslich Leben, Deine stillen Zimmer und Deine grünen Bäume am Fenster. Deinen Brief, diesen lieben Trost, behielt ich aber kaum eine Viertelstunde, indem H. ihn mir sehr gewissenhaft zurück foderte, um ihn zu zeigen, und so bekam ich ihn nicht wieder. Ich weis nicht was H. bey dieser Gelegenheit alles verbothen wurde, ich fand ihn aber nachher sehr verändert, und er scheute sich Deinen Nahmen zu nennen. Du kannst nach F…, und ich sah Dich nicht einmal von weitem, das war mir sehr hart! Ich hatte immer auf den Sonnabendgerechnet, doch mußte ich eine Ahnung von Dir haben, denn ich öfnete, am Abend wie Du vorbey giengest, ungefähr um halb 9 Uhr das Fenster und dachte; wenn ich Dich doch im Schein der großen Laterne erblickte. Einige Zeit nachher, als ich Henry zum H[egél]. schicken wollte, antwortete er, es sey ihm nicht mehr erlaubt. Ich sagte ihm sehr ernsthaft, daß er ein undankbares Herz hätte, wenn er gegen dieses Verboth gar keine Einwendungen gemacht, und wenn es ihm nicht sehr leid wäre. Es half aber nichts, er sagte, er müsse doch gehorsam seyn. Jetzt wo denn alle Wege der Mittheilung uns abgeschnitten sind, und ich dadurch sehr empöhrt bin, hoffe ich auf den Mann, den Du aus dem Gasthofe uns schicktest.
Du kannst mir, wenn Du es gut findest, und Sinclair einmal hierher kömmt, ihn bitten, (wenn es angeht, und Du Dich nicht gegen ihn in ein falsches Licht setzest) mich zu besuchen und mir durch ihn den Hyperion schicken, wenn Du ihn schon bekommen. Es ist mir nicht möglich, ihn für ein paar Geldstücke zu kaufen. Ich werde dann wieder Nachricht von Dir bekommen, wie sehr wird es mich freuen! wenn es Dir gut gehet –

Man begegnet mir, wie ich vorher sah, sehr höflich, biethet mir alle Tage neue Geschenke, Gefälligkeiten und Lustparthien an; allein, von dem, der das Herz meines Herzens nicht schonte, muß die kleinste Gefälligkeit anzunehmen mir wie Gift seyn, so lange die Empfindlichkeit dieses Hertens dauret. Denn wer könnte wohl auf den Sturtz seines Freundes sich sogenannte gute Tage machen wollen, noch Selbstgefühl und Zartheit behaupten? Aus diesem Gefühl lebe ich also gerne einfacher wie sonst, schränke aus Neigung meine Bedürfnisse ein. Dieser Stolz und diess Gefühl sind mir lieber als alle Güther der Erde. Gott! meine Liebe! bewahre mich darinn. Ich bin fast immer allein mit den Kindern. Suche ihnen so nützlich zu werden, wie ich kann.

Schon oft habe ich es bereut, daß ich Dir beym Abschied den Rath gab, auf der Stelle Dich zu entfernen. Noch habe ich nicht begriffen, aus welchem Gefühl ich so dringend Dich bitten mußte. Ich glaube aber, es war die Furcht vor der ganzen Empfindung unserer Liebe, die zu laut in mir wurde bey diesem gewaltigen Riß, und die Gewalt, welche ich fühlte, machte mich gleich zu nachgiebig. Wie manches, dachte ich nachher, hätten wir noch für die Zukunft ausmachen können, hätte nur unser aus einander gehen nicht diese feindselige Farbe angenommen; niemand hätte Dir den Zutritt in unser Haus wehren können. Aber jetzt, o! sage mir Du Guter, wie gehet es wohl an, daß wir uns wiedersehen? sey es auch noch so entfernt? – Dem ganzen entsagen kann ich nicht! Es bleibt immer meine liebste Hoffnung! – – Sinne darauf. Oft werde ich Dir nicht schreiben können, dieser Gelegenheit traue ich höchstens nur einmal. Du wirst durch S [inclair]. ein paar Zeilen zurück bekommen. Auch glaube ich, daß es künftig mit der Komödie nicht mehr so oft angehet, man würde es bald merken, weil man nicht gewohnt ist, daß ich bey schlechten Stücken hingehe, und wir wollen doch keine Zuschauer. Auch würde es mir zu leid thun, Dich bey schlechtem Wetter unterwegends zu wissen. Wir wollen also, wenn Du es gut findest, diese Einrichtung machen: Du kömmst alle Monath den Iten Donnerstag, und wenn es schlecht Wetter ist, den ersten darauf folgenden schönen Komödien Tag, und ich richte mich danach.

Da habe ich Dir viel Worte mache[n] müssen, und hätte Dir doch so gerne so viel gesagt. Das Rechte kann ich aber nicht ausdrücken, es bleibt tief in meinem Herzen begraben. Nur Tränen der Wehmuth können das sagen und wieder stillen. Du siehest wohl, ich kann die Worte nicht finden! – Ich bin so verändert, dieser gewaltige Schlag des Schicksals hat mich ganz in mich selbst gekehrt, ein tiefer heiliger Ernst herrschet durch mein ganzes Wesen. Nur oft ist’s mir so dumpf, und ich habe keine Besinnung; will ich dann lesen, stehen meine Gedanken still, und wollen nicht weiter, ich kann nur das Nöthigste thun, und bin zum verwundern geduldig. Meine Gesundheit ist übrigens gut, nur fehlet es mir an Muth und Täthigkeit, ich bin ein wenig gelähmt, und mögte nur immer so hin sitzen. Träumen mögte ich auch! aber meine Phantasie will mir oft nicht dienen. O! es wird gewiß besser, wenn ich nur erst weiß, daß die Nachrichten von Dir mir nicht fehlen können und ich immer einen Gesichtspunkt, einen Tag der Hoffnung vor mir habe. Denn die Hoffnung hält uns allein im Leben.

– – Das bleibt gewiß, daß ich nie ändere. – –

Diotima an Friedrich Hölderlin | 28. September – 5. Oktober 1798

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